Ingeborg Bachmann
Anrufung des großen Bären
Lieder von einer Inselчитать дальшеSchattenfrüchte fallen von den Wänden,
Mondlicht tüncht das Haus, und Asche
erkalteter Krater trägt der Meerwind herein.
In den Umarmungen schöner Knaben
schlafen die Küsten,
dein Fleisch besinnt sich auf meins,
es war mir schon zugetan,
als sich die Schiffe
vom Land lösten und Kreuze
mit unsrer sterblichen Last
Mastendienst taten.
Nun sind die Richtstätten leer,
sie suchen und finden uns nicht.
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Wenn du auferstehst,
wenn ich aufersteh,
ist kein Stein vor dem Tor,
liegt kein Boot auf dem Meer.
Morgen rollen die Fässer
sonntäglichen Wellen entgegen,
wir kommen auf gesalbten
Sohlen zum Strand, waschen
die Trauben und stampfen
die Ernte zu Wein,
morgen am Strand.
Wenn du auferstehst,
wenn ich aufersteh,
hängt der Henker am Tor,
sinkt der Hammer ins Meer.
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Einmal muss das Fest ja kommen!
Heiliger Antonius, der du gelitten hast,
heiliger Leonhard, der du gelitten hast,
heiliger Vitus, der du gelitten hast.
Platz unsren Bitten, Platz den Betern,
Platz der Musik und der Freude!
Wir haben Einfalt gelernt,
wir singen im Chor der Zikaden,
wir essen und trinken,
die mageren Katzen
streichen um unseren Tisch,
bis die Abendmesse beginnt,
halt ich dich an der Hand
mit den Augen,
und ein ruhiges mutiges Herz
opfert dir seine Wünsche.
Honig und Nüsse den Kindern,
volle Netze den Fischern,
Fruchtbarkeit den Gärten,
Mond dem Vulkan, Mond dem Vulkan!
Unsre Funken setzten über die Grenzen,
über die Nacht schlugen Raketen
ein Rad, auf dunklen Flößen
entfernt sich die Prozession und räumt
der Vorwelt die Zeit ein,
den schleichenden Echsen,
der schlemmenden Pflanze,
dem fiebernden Fisch,
den Orgien des Winds und der Lust
des Bergs, wo ein frommer
Stern sich verirrt, ihm auf die Brust
schlägt und zerstäubt.
Jetzt seid standhaft, törichte Heilige,
sagt dem Festland, dass die Krater nicht ruhn!
Heiliger Rochus, der du gelitten hast,
o der du gelitten hast, heiliger Franz.
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Wenn einer fortgeht, muss er den Hut
mit den Muscheln, die er sommerüber
gesammelt hat, ins Meer werfen
und fahren mit wehendem Haar,
er muss den Tisch, den er seiner Liebe deckte,
ins Meer stürzen,
er muss den Rest des Weins,
der im Glas blieb, ins Meer schütten,
er muss den Fischen sein Brot geben
und einen Tropfen Blut ins Meer mischen,
er muss sein Messer gut in die Wellen treiben
und seinen Schuh versenken,
Herz, Anker und Kreuz,
und fahren mit wehendem Haar!
Dann wird er wiederkommen.
Wann?
Frag nicht.
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Es ist Feuer unter der Erde,
und das Feuer ist rein.
Es ist Feuer unter der Erde
und flüssiger Stein.
Es ist ein Strom unter der Erde,
der strömt in uns ein.
Es ist ein Strom unter der Erde,
der sengt das Gebein.
Es kommt ein großes Feuer,
es kommt ein Strom über die Erde.
Wir werden Zeugen sein.Ingeborg Bachmann
The Collected Poems
Invocation of the Great Bear
Songs from an IslandRipe shadows cascade from the walls,
moonlight whitewashes the house, and ashes
from the cold crater drift in the sea breeze.
The coast sleeps in the embrace
of beautiful boys;
your flesh considers mine,
still as fond of me
as when the ships
broke loose from land,
and the crosses
hung with our mortal weight
kept watch from the masts.
Now the gallows are empty,
they search but find us gone.
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When you rise again,
When I rise again,
no stone is before the gate,
no boat lies on the sea.
Tomorrow the barrels will roll
towards the Sunday waves.
We will walk the sand
on anointed soles, washing
the grapes and stomping
the harvest to wine,
tomorrow on the beach.
When you rise again,
When I rise again,
the hangman hangs on the gate,
the hammer sinks in the sea.
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And yet the feast must come!
Saint Antonius, you who have suffered,
Saint Leonhard, you who have suffered,
Saint Vitus, you who have suffered.
Make ways for our pleas, make way for the worshipers,
Make way for music and joy!
We have learned a simpleness,
we sing in chorus of cicadas,
we eat and drink,
while lean cats
rub against our table
until the evening mass begins,
and U hold your hand
with my eyes
and a quiet, courageous heart
offers you up its wishes.
Give honey and nits to the children,
full nets to the fishermen,
fruitfulness to the gardens,
and a moon to the volcano! a moon to the volcano!
Our sparks crossed the borders,
above the night the rockets wheeled,
on dark rafts
the procession withdraws and yields
time to the prehistoric world,
to the creeping lizards,
gluttonous plants,
feverish fish,
the wind's orgies
and the mountain's pleasure,
where a pious star strays and falls,
exploding upon the crest.
Now be steadfast, foolish saints,
tell the coast the craters are not resting!
Saint Rochus, you who have suffered,
O you who have suffered, Saint Franz.
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When one goes away, he must fling
his hat of mussels gathered
over the summer into the sea
and sail with windblown hair.
He must plunge the table
set for his love into the sea.
He must pour the last of the wine
left in the glass into the sea.
He must feed the fish his bread
and mix a drop of blood into the sea.
He must throw his knife to the waves
and toss away his shoes,
heart, anchor, and cross,
and sail with windblown hair.
Only then will he return.
When?
Don't ask
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There's a fire under the earth
and the fire burns clean.
There's a fire under the earth
and a molten stream.
There's a stream under the earth
and we feel it in our souls.
There's a stream under the earth
and it singes our bones.
There will be a great fire.
There will be a great flood.
We shall witness each.transl. by Peter Filkins
Hans Werner Henze: Lieder von einer Insel, for chamber choir & ensemble (1964)